DER STOFF DER REBELLION

Wir führten einen symbolischen, aber nichtsdestotrotz zähen Kampf, meine Mutter und ich. Sie verteidigte Prinzipien wie Anstand und Anpassung, ohne die es in ihren Augen im Leben nicht ging, vor allem wenn man wie ich ein weiblicher Teenager war. Ich kämpfte gegen bürgerliche Zwänge und für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Mindestens für den zweiten Punkt hatte meine Mutter durchaus Sympathien. Zwei Jahre zuvor, im Herbst 1971, hatte sie meinem Vater gedroht, falls er nicht ein Ja für das Frauenstimmrecht in die Urne legte, würde sie für den Rest ihrer Tage kein einziges Herrenhemd mehr bügeln. Aber dass ich die Nähte auftrennte, damit die Hosenbeine meiner Jeans so richtig schön ausfransten, ging ihr entschieden zu weit. Also setzte sie sich nach jeder Wäsche an die Nähmaschine und verpasste den Hosenbeinen wieder eine Abschlussnaht – die ich jedes Mal, bevor ich in meine heiss geliebte Jeans schlüpfte, wieder auftrennte. Wie lange dieser Kampf andauerte, weiss ich nicht mehr. Aber da ich, wie meine Eltern immer wieder beklagten, einen «Setzgrind» hatte, obsiegte ich.

Es war mein zweiter Sieg in dieser Sache. Den ersten und weitaus bedeutenderen trug ich davon, als ich mir als Fünfzehnjährige endlich meine erste Jeans kaufen durfte. Zwar trugen unterdessen auch «anständige» Mädchen Hosen, aber meine Eltern verstanden darunter eine Stoffhose oder eine «Manchesterhose» – mit helvetischer Betonung des ersten E. An Bluejeans, wie wir sie damals nannten, haftete noch immer der Duft der Rebellion. Leider erlaubte das Familienbudget keine echte Levi’s, aber wenigstens entkam ich der Schmach einer namenlosen Warenhaus-Jeans und verliess das Geschäft mit einer Lee-Jeans. Und weil Flower-Power das Gebot der Stunde war, bestickte ich sie mit kleinen, gelben Blumen. Mir war nicht bewusst, dass der Stoff meiner echten «amerikanischen» Jeans möglicherweise von einer Schweizer Firma produziert worden war. Der Industrielle Fredy Legler meinte später über die 80er-Jahre: «Jeder vierte oder fünfte Europäer trug einen Denimstoff von uns am Hintern.» Als ich endlich glückliche Besitzerin einer Jeans wurde, stammte sogar die Hälfte des in Europa gewobenen Denim vom Textilunternehmen Legler.


Das Textilunternehmen Legler – eine Erfolgsgeschichte

Als europäische Marktführerin in Jeans-Stoff konnte Legler bereits auf eine weit über hundertjährige Firmengeschichte zurückblicken. 1857 gründete Mathias Legler im glarnerischen Diesbach das Stammhaus der Firma. Die Beschäftigung mit Textilem lag in der Familie: Bereits Mathias Leglers Urgrossvater David, ein schlecht besoldeter Schulmeister, hatte zuhause Baumwolle versponnen, um die vielen Mäuler zu stopfen. Damals waren Weben und Spinnen neben der Landwirtschaft die wichtigste Einkommensquelle der Glarner Bevölkerung. Einheimische Kaufleute importierten die Baumwolle, gaben sie an Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter ab und verkauften das Garn an Fabriken in Zürich, St. Gallen oder Herisau, die es zu Stoffen verarbeiteten. Da die Heimarbeit mühsam und wenig lukrativ war, stieg die nächste Generation der Familie Legler Ende des 18. Jahrhunderts in den Textilhandel ein. Der 1790 geborene David Legler war der erste Fabrikant in der Familie: Er zog 1834 im Keller seines Wohnhauses in Diesbach eine kleine Handweberei mit einem knappen Dutzend Angestellter auf. Das Geschäft lief so gut, dass er zehn Jahre später mit seinem Sohn Mathias eine erste Fabrik errichtete, wo auf fünfzig Handwebstühlen Baumwolltücher gewoben wurden.

1848, mit der Gründung der modernen Schweiz, fielen die kantonalen Zollschranken, die Niederlassungsfreiheit wurde eingeführt und die Masse, Gewichte und die Währung vereinheitlicht. Das Wirtschaftswachstum, das daraufhin einsetzte, bot Mathias Legler, der damals die Fabrik in Diesbach leitete, neue unternehmerische Chancen. Es gab im Glarnerland bereits ein paar mechanische Spinnereien und Webereien, und jedem hellen Kopf war klar, dass die Tage der Handweberei gezählt waren. Mathias Legler tat sich mit seinem Onkel Joachim Legler zusammen, der als Textilkaufmann zu Geld gekommen war, und kaufte ein Grundstück auf der Oberen Allmend, samt der Wasserrechte, die es brauchte, um die mechanischen Webstühle anzutreiben. Die Bürgergemeinde Diesbach knüpfte an den Landverkauf allerdings die Bedingung, dass die Leglers Arbeit für 150 Leute schaffen und in erster Linie Bürger*innen der Gemeinde anstellen mussten.

Fabrikgebäude von Legler in Diesbach, um 1900. Quelle: Cotonificio Legler 1875–1950

Unter dem Namen J. & M. Legler nahm die Weberei 1857 den Betrieb auf, mit zweihundert mechanischen Webstühlen, auf denen grobe Tücher hergestellt wurden, zum Beispiel Barchent, ein Mischgewebe aus Baumwolle und Leinen. Das Geschäft blühte. Bereits 1864 konnte die Fabrik um eine Spinnerei mit 4000 Spindeln erweitert werden, welche die Weberei mit eigenem Garn versorgte. Vier Jahre später arbeiteten in der Weberei bereits 156 Personen. Davon waren 21 noch keine sechzehn Jahre alt und drei Viertel weiblich. Die Frauen galten nicht nur als geschickter und geduldiger, sie verdienten auch weit weniger als die Männer. Mathias Legler konnte den neuen Wohlstand allerdings nicht lange geniessen. Er starb 1866, noch nicht einmal 46-jährig. Die Glarner Presse ehrte den Verstorbenen als Unternehmer «voll edlen Strebens und rastloser Tätigkeit» und lobte seinen «Eifer für geschäftliche Fortschritte» und seine «Liebe zu seiner Gemeinde und zum Vaterland».

Darauf übernahm Mathias Legler junior mit seinem acht Jahre jüngeren Bruder Fridolin die Leitung der Fabrik. Er hatte sich immer für technische Fragen interessiert und hätte gern eine höhere Schule besucht, doch der Vater schickte ihn zu einem Strohhutfabrikanten im Welschland, denn er war der Meinung, «dass es nicht gut sei, die Knaben so lange auf den Schulbänken zu lassen; er selbst sei auch nur fünf Jahre in die Dorfschule gegangen». Mangelnde Schulbildung hin oder her, Mathias Legler war ein gewiefter und umtriebiger Unternehmer. Das war auch nötig, denn die Schweizer Baumwollindustrie stand zunehmend unter Druck, weil immer mehr europäische Länder auf eine protektionistische Wirtschaftspolitik setzten. Als auch das Königreich Italien Schutzzölle einführte, reiste Mathias Legler nach Oberitalien, um einen Standort für eine neue Fabrik zu suchen, mit der er auf der anderen Seite der Zollschranken produzieren konnte. Er kaufte ein Gelände und eine für den Fabrikbetrieb unerlässliche Wasserkonzession in Ponte San Pietro, einem Dorf in der Nähe von Bergamo, das auch verkehrstechnisch gute Bedingungen bot, weil es bereits ans Eisenbahnnetz angeschlossen war.

Briefkopf von Legler mit der alten Handweberei (links), Fabrikgebäuden und der Fabrikantenvilla, um 1890. Quelle: Cotonificio Legler 1875–1950

Mathias Legler übertrug die Leitung der Fabrik in Diesbach einem Cousin und einem Schwager und zog mit Frau, Kindern und seinem Cousin Fritz nach Ponte San Pietro, baute eine Fabrik samt Wehr und Kanal und liess aus der Schweiz moderne Maschinen kommen. 1877 nahm er die Spinnerei mit 7000 Spindeln und die Weberei mit zweihundert Webstühlen in Betrieb. Kurze Zeit später baute er eine Färberei und eine Bleicherei und verdoppelte die Zahl der Spinn- und Webmaschinen. 1890 beschäftigte die Fabrik bereits siebenhundert Personen und hatte das Stammhaus in Diesbach – sowohl punkto Grösse wie auch wirtschaftlicher Bedeutung – weit überflügelt. Ein Jahr später wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die als Cotonificio Legler S. A. firmierte.

Der Erfolg des italienischen Ablegers hatte mehrere Gründe. Weil die norditalienische Seidenindustrie kriselte und Leute entlassen werden mussten, waren problemlos erfahrene Arbeitskräfte zu finden. Die italienischen Arbeitnehmenden waren zudem gesetzlich kaum geschützt, während im Glarnerland Arbeitervereine und Fabrikgesetze der Ausbeutung wenigstens minime Schranken setzten. Auch die Spezialisierung des Unternehmens, das neben Gebrauchstextilien «den schönsten mercerisierten Damast, die feinsten Satins und den wunderbarsten Baumwollsammet in erlesenen Farben» herstellte, trug zum Erfolg bei. Als Mathias Legler 1932 starb, würdigten ihn die Glarner Nachrichten als «den Typus eines erfolgreichen Auslandschweizers», der «im In- und Auslande zu hohem Ansehen gestiegen ist und der glarnerischen Industrie einen Namen von gutem Klang gegeben hat». Er hatte tatsächlich den Grundstein zu einem erfolgreichen Textilunternehmen gelegt. 1950 feierten in Ponte San Pietro 2500 Angestellte das 75-jährige Firmenjubiläum, sieben Jahre später konnte die Fabrik in Diesbach sogar das hundertjährige Jubiläum begehen.

Fabrikarbeiterinnen feiern das Jubiläum von Cotonificio Legler in Ponte San Pietro. Quelle: Cotonificio Legler 1875–1950


Jeans erobern Europa

Zu dieser Zeit traten die Bluejeans, damals auch «Nietenhosen» oder «Texashosen» genannt, ihren Siegeszug in Europa an. Die Anfänge der robusten, mit Nieten verstärkten Hose gehen zwar auf das Jahr 1873 zurück, als der deutsche Auswanderer Levi Strauss und der amerikanische Schneider Jacob Davis ihre Erfindung patentieren liessen. Doch lange Zeit waren Jeans ein rein amerikanisches Phänomen – und ein rein männliches. Laut einer Levi’s-Werbung von 1897 war die Hose aus strapazierfähigem Denim besonders geeignet für «Bergleute, Mechaniker, Ingenieure und Arbeiter». Erst als sich während des Ersten Weltkriegs die Zahl der in der Industrie beschäftigten Amerikanerinnen verdreifachte, brachte Levi’s Jeans für werktätige Frauen auf den Markt. Die «Freedom-Alls» bestanden aus einer Baumwolltunika und einer Ballonhose und waren, so die Werbekampagne, für «Job oder Freizeit» geeignet. Da hosentragende Frauen aber als unschicklich galten, blieb diese erste weibliche Jeans-Linie eine kuriose Fussnote in der Geschichte der Mode.

Die erste Jeans-Linie für Frauen: «Freedom-Alls» von Levi’s, um 1918

1922 wurden Jeans mit Gurtschlaufen versehen. Das trug massgeblich zu ihrer Popularisierung bei, denn nun wurden die wenig kleidsamen Hosenträger überflüssig. Viel wichtiger waren jedoch das Aufkommen des Ranch-Styles und das Branding von Jeans als Cowboy-Hose. Hollywood-Western wie «Stagecoach» mit John Wayne in der Hauptrolle verbreiteten das – wohlgemerkt anachronistische – Bild vom Cowboy, der in Jeans gegen die «Indianer» gekämpft hatte. 1934 lancierte Levi’s die ersten Jeans für Frauen, woraufhin die amerikanische Modezeitschrift Vogue erstmals einen Artikel über den Western-Chic mit einem Bild von zwei Frauen in Jeans auf einer Ranch illustrierte.

Frauen in Jeans: Vogue von 1935 und Jelmoli-Katalog von 1962

Doch es war klar, dass Frauen nur während der Freizeit, vor allem beim Campieren, oder in den eigenen vier Wänden Jeans tragen sollten. Das änderte sich erst, als die Amerikanerinnen während des Zweiten Weltkriegs wieder in die Fabriken strömten, um die Männer zu ersetzen, die in Übersee kämpften. Jeanstragende Frauen wurden gar zum Symbol für die Kriegsanstrengungen an der Heimatfront, personifiziert durch «Rosie the Riveter» (Rosie die Nieterin), die fiktive Hauptperson eines staatlichen Propagandafilmes, der die Frauen zur Arbeit in der Rüstungsindustrie bewegen wollte.

Die Propaganda-Figur «Rosie the Riveter» in Jeans, 1941

Es waren die amerikanischen G.I.s, welche die Jeans nach dem Zweiten Weltkrieg nach Europa brachten. Aber es waren Jugendidole wie James Dean mit dem Kultfilm «Rebel without a Cause», Marlon Brando mit «The Wild One» und Elvis Presley, der laszive King of Rock’n’Roll, die die Hose aus Amerika zum Protestsymbol für die jungen Männer machten, während sich die weiblichen Teenager an Marilyn Monroe orientierten, die in «River of No Return» als erste Frau auf der Leinwand Jeans trug. Existenzialistinnen und Rocker, Halbstarke und Rock’n’Roll-Fans trugen Jeans und bald auch Jeans-Jacken als Teil ihrer Rebellion gegen die Eltern und eine verkrustete Gesellschaft. Oft verliehen sie ihrer Lieblingskluft eine persönliche Note, indem sie die Hosen, aber insbesondere die Jacken, mit Zeichnungen, Fransen und zusätzlichen Nieten schmückten.

James Dean, um 1954

Es war in den Fünfzigerjahren allerdings gar nicht so einfach, echte amerikanische Jeans zu ergattern. In der Schweiz bot erstmals ein Berner Sportgeschäft 1954 Bluejeans «direkt aus den USA» mit «Original-Cowboy-O-Bein-Schnitt» an, aber nur für Knaben und Herren und ohne Information zur Marke. Die ersten zwei Läden, die Levi’s und Lee-Jeans importierten, eröffneten 1956 in Zürich. «In Amerika ein Jahrhundert bekannt, erprobt und beliebt – in der Schweiz soeben neu entdeckt!», annoncierte einer dieser Jeans-Shops leicht unbeholfen. «Warum begeistern die Blue Jeans selbst uns konservative Schweizer? Weil das wirklich Gute sich auch bei uns schliesslich durchsetzt. Wir führen nur die ersten Marken Amerikas und deren beste Qualitäten. Der Schnitt dieser Hose ist einzigartig – die sitzt! Für jeden Gebrauch sind Blue Jeans die richtigen Hosen, sei es für Reiten, Klettern, Camping, Alltag, Arbeit usw.»

Jeans-Werbung von Bigler-Sport, Bern. Quelle: Der Bund, 13. Juli 1954

Der Rest des Landes musste sich wohl oder übel mit Jeans aus dem Jelmoli-Versandkatalog begnügen, der zweimal jährlich in jeden zweiten Schweizer Haushalt verschickt wurde. 1953 verkaufte das Zürcher Warenhaus erstmals Bluejeans für Knaben, ein Jahr später auch für Mädchen und Männer. Die Frauen mussten sich noch ein weiteres Jahr gedulden. Alle diese Jeans waren jedoch Marken-Imitate, und für aufmüpfige Jugendliche wohl mehr Schreck als Objekt der Begierde. Erst 1963 tauchten im Jelmoli-Katalog die ersten «Original Lee-Jeans aus US» auf. Die Legende machte die Mütter, die den Kaufentscheid fällten, darauf aufmerksam, «mit welcher Riesenbegeisterung unsere Knaben die echte Lee-Jeans tragen». Die noch immer namenlosen «Damen-Blue-Jeans» wurden hingegen als «rassig und bequem, jugendlich und fröhlich!» angepriesen, unter einer Zeichnung, die auffallend an die Vogue-Illustration von 1934 erinnerte.

Jelmoli-Katalog, 1955

Im Verlauf der Sechzigerjahre avancierten Jeans an Vietnam-Demonstrationen und studentischen Sit-ins zur Uniform des Protests, doch spätestens Anfang der Siebzigerjahre waren sie im Mainstream angelangt und mehrheitsfähig. Gleichzeitig wurden immer mehr Jeans in Europa geschneidert, doch der Denim wurde noch immer aus den USA importiert. Fredy Legler, der seit 1954 mit seinem Cousin Matteo das Legler-Imperium führte, sah die Chance – und packte sie. Im richtigen Moment.


Legler riecht den Trend und setzt auf Denim

Die Textilindustrie in Europa kriselte, der Markt wurde mit Stoffen aus Niedriglohnländern überschwemmt, während die Löhne in Europa unaufhörlich stiegen. Als Antwort hatte die Legler Industria Tessile, wie die Firma in Ponte San Pietro inzwischen hiess, die Produktion automatisiert, das Sortiment gestrafft und sich auf hochwertige Textilien spezialisiert. Als Fredy Legler einen Vortrag des Wrangler-Chefs über den explodierenden Jeans-Markt hörte, war er elektrifiziert. «Natürlich musste ich die Machbarkeit beurteilen können», erklärte er später. «Es war schliesslich auch ein grosses finanzielles Risiko, diese neue Technologie einzurichten. Da durfte nichts schiefgehen. Und ich musste den Markt sehen und daran glauben, dass wir die grossen Mengen an Denimstoff würden verkaufen können. Wir konnten!»

Anspielung auf das berühmte Abbey-Road-Cover der Beatles: Modeaufnahme von Legler, 1974

1970 entschied die Direktion einstimmig, die komplette Umstellung auf Denim und Cord zu wagen. Bereits zwei Jahre später lieferte Legler zehn Millionen Meter Cord aus, 1973 verliessen die ersten Ballen Denim die Fabriken in Ponte San Pietro und Diesbach. Die Nachfrage wuchs rasant, also beschloss Legler, das St. Galler Textilunternehmen Stoffel zu kaufen, welches Fabriken in Schmerikon, Mels und im glarnerischen Netstal besass und kurz vor dem Ruin stand. In Mels wurde eine Spinnerei und in Schmerikon eine moderne Denim-Weberei eingerichtet. Wenig später folgten eine Färberei und eine Anlage zur Stoffveredelung. In den ersten sechs Jahren investierte die Legler-Gruppe 34 Millionen Schweizerfranken in die Umstellung, was heute rund 70 Millionen Franken entspricht. Doch die Investition zahlte sich aus: 1978 produzierte Legler die Hälfte des europäischen Denim: jährlich zehn Millionen Quadratmeter, was der Fläche von 71’000 Fussballfeldern entsprach. Um der Nachfrage gewachsen zu sein, wurde zuerst in drei, später sogar in vier Schichten rund um die Uhr gearbeitet. Legler profitierte auch davon, dass die Haute Couture den Stoff entdeckte, der einst Rebellion symbolisiert hatte. 1976 schickte Calvin Klein als erster Modedesigner Models in Jeans auf den Laufsteg, später stiegen Luxusmarken wie Versace, Dolce & Gabbana und Dior ins Jeans-Geschäft ein.

Anfang der Achtzigerjahre besass Legler noch immer einen Marktanteil von zwanzig Prozent am europäischen Denim-Markt und arbeitete mit dem Haute-Couture-Designer Hubert de Givenchy zusammen. Dank der genialen Idee, auf Denim zu setzen, hatte die Firma Zeit gewonnen, doch schliesslich wurde auch sie von der Krise der europäischen Textilindustrie eingeholt. 1989 wurde die Produktion in der Schweiz bis auf die Weberei in Diesbach eingestellt und die Fabrik in Ponte San Pietro an einen italienischen Unternehmer verkauft. 2001 schloss schliesslich auch die letzte Produktionsstätte des ehemaligen Legler-Imperiums, die Weberei des Stammhauses in Diesbach, ihre Pforten.

Die Autorin in ihren bestickten Lee-Jeans, 1974

Auch meine erste Jeans ist Vergangenheit. Ich hatte es jahrelang nicht übers Herz gebracht, sie zu entsorgen, obwohl sie mir schon lange nicht mehr passte. Letzthin habe ich sie, ein bisschen wehmütig, zur Textil-Sammelstelle gebracht. Geblieben ist ein Foto von mir, auf dem zwar die ausgefransten Nähte an den Hosenbeinen nicht zu sehen sind, aber immerhin die kleinen, gestickten Blumen.

Weiterführende Literatur:

Magazin DU (868/2016). Fredy A. Legler und das Glarnerland.

Ausstellung Jeans made in Diesbach. 2017/18 in Diesbach, 2019/20 im Museum Neuthal, kuratiert von Kaba Rössler. Stiftung Thomas-Legler-Haus.

Kaufmann, Andréa (2014). Spinnen, Weben. Drucken. Pioniere des Glarnerlandes. Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik. Verlag Verein f. wirtsch.-histor. Studien.